Synthese ist die Vereinigung unterschiedlicher, vielleicht sogar gegensätzlicher, Elemente. Dabei entsteht ein höheres, größeres Ganzes. Mehr, als die Summe seiner Teile.
Die Fähigkeit, Erlebnisse, Gedanken und Perspektiven zu synthetisieren, ist für mich fundamental, um aus der Reflexion in die Aktion zu kommen.
Vor etwa 14 Monaten habe ich meinen letzten Artikel geschrieben. Das Schreiben hat mir vom ersten Moment an bis zu diesem letzten Artikel große Freude bereitet. Das Schreiben ist für mich ein Raum der Reflexion: Ich verschriftliche meine Gedanken und schaffe neue Perspektiven. Dadurch lerne ich aus dem, was ich erlebt habe.
Die Schreibpause
Drei Dinge sind passiert, die dazu geführt haben, dass ich das Schreiben von Essays pausierte.
Erstens: space22
Im Mai 2024 habe ich das erste Mal signifikanten Druck durch die Inhaberschaft der space22 gespürt. Der vertriebliche Aufbau von Neukundengeschäft trug immer noch keine Früchte, wir waren mit dem erhöhten Auftragsvolumen unseres Hauptkunden gewachsen und es gab erste signifikante personelle Konflikte im Unternehmen.
Als Inhaber und Geschäftsführer eines Unternehmens mit mehr als 10 Mitarbeitenden hatte ich neben vielen kleinen Dingen zwei große Verantwortungen auf meinen Schultern: Sicherung des Umsatzes durch Ausbau des Vertriebs und Sicherung des Wohlbefindens der Belegschaft durch kontinuierliche Kulturarbeit.
Ich beschloss: Nun gebe ich wirklich Gas im Vertrieb. Jede Woche Reisen, viel telefonieren, regelmäßige Geschäftsessen, Präsenz auf Messen und Veranstaltungen, aktives Einbringen in div. Verbänden und Netzwerken. Das hob mein physiologisches Stressniveau natürlich an.
Gleichzeitig war ich großem emotionalen Stress ausgesetzt. Einerseits aufgrund der Angst, den Vertrieb nicht in den Griff zu bekommen. Andererseits durch die angesprochenen personellen Konflikte. Mit knapp über zehn Personen waren wir zu klein, als dass eine Personalabteilung hier ernsthaft hätte unterstützen können.
Zweitens: Holderbaum Academy
Parallel spürte ich den vertrieblichen Druck auch in der Academy. Die deutsche Wirtschaft, insbesondere der Mittelstand, litt damals schon seit einiger Zeit unter Rezessionsangst, verbunden mit vielen Unsicherheiten auf der ganzen Welt.
Das merkte ich in der Space und in der Academy. Denn beide Unternehmen hingen von Töpfen in den Unternehmen ab, die in unsicheren Zeiten oft als Erstes gestrichen werden: Beratung und Fortbildung.
Daher hatte ich im April 2024 eine Marketing-Kampagne zum Thema Meeting-Strategien gestartet, die phänomenal funktionierte. Im Zeitraum April 2024 bis Dezember 2024 sammelten wir über 40 Leads ein. Alle konnte ich telefonisch erreichen, mit 35 konnte ich Meeting-Analysen und Folgegespräche machen, drei davon habe ich zu zahlenden Kunden konvertiert.
Das war ein fantastisches Ergebnis und gleichzeitig ein wahnsinniger Zeitfresser für mich. Auch hier: eine weitere relevante Stressquelle.
Drittens: Bullet Journaling
Speziell in Zeiten von großem Stress hat mir, wie oben erwähnt, das Schreiben meist zu mentaler Klarheit und innerer Ruhe verholfen.
Deswegen startete ich im Juni 2024 das handschriftliche Bullet Journaling. Innerhalb weniger Tage konnte ich spüren, wie sehr mir das tägliche Schreiben von Hand dabei hilft, Klarheit zu finden und meinen komplexen, stressigen Alltag zu navigieren.
Seitdem schreibe ich jeden Tag in mein Journal. Keine komplexen Produktivitätssysteme mehr, keine Tools wie Notion oder Todoist. Ein Papierbuch, ein Füller und ganz viel Klarheit. Über meine Reise mit dem Journaling werde ich in späteren Essays noch mehr schreiben.
Warum erwähne ich das als dritten Grund zur Online-Schreibpause? Der Leidensdruck zu Reflexion war verschwunden. Ich hatte den Raum dafür jeden Tag in meinem Journal.
Das kombiniert mit großem Stress und großer emotionaler Belastung aus beiden Unternehmen hat bei mir dazu geführt, das produktive Schreiben liegen zu lassen. Ich habe jede Woche daran gedacht und doch habe ich es nicht geschafft, die Tastatur wieder in die Hand zu nehmen.
Erste Synthese: Reflexion ist Notwendig
Ich habe verstanden, wie therapeutisch das Schreiben für mich ist. Auch wird mir jetzt erst richtig klar, dass diese Essays eine wichtige Rolle gespielt haben, bevor das Journaling in mein Leben trat.
Ich bin daher unglaublich gespannt, wie sich das regelmäßige produktive Schreiben meiner Essays verändert. Wenn es nicht mehr aus der Notwendigkeit der Reflexion erfolgt, sondern aus der Reflexion im Journaling entsteht.
Weg von der Notwendigkeit des Schreibens hin zur Lust am Schreiben.
Die Achterbahn
Die Intensivierung meiner vertrieblichen Arbeit im Mai 2024 intensivierte auch meinen Arbeitsalltag. Ich habe in den ersten Monaten dieser Zeit über 100 Leads für die Space in unser CRM gebracht. Das bedeutete an die tausend Calls, viele Workshops und unzählige Mittag- und Abendessen.
Das Ergebnis war ernüchternd und spiegelte die Erfahrungen wider, die mir viele Unternehmerinnen aus meinem Netzwerk erzählten: Sowohl hochpreisige beratende Softwareentwicklung als auch hochpreisige individuelle Schulungsformate für Führungskräfte lassen sich im Mittelstand kaum noch verkaufen.
Unsicherheit, Rezessionsangst und eine angespannte weltpolitische Lage sorgten dafür, dass liquide Mittel zurückgehalten wurden. Parallel funktioniert das Geschäft hervorragend für Near- oder Offshore-Bodyleasing, Anbieter von hybriden Webinar-Angeboten können ebenfalls Absatz zugewinnen.
Mir war auch klar, dass ich mit den Geschäftsmodellen der Space und der Academy weder einen Preiskampf gewinnen kann, noch, dass ich einen ebensolchen führen möchte.
Die ersten Einschnitte
Im Juli 2024 entließ ich in der Space das erste Mal einen Mitarbeitenden. Das war das Ergebnis einer längeren Reise aus Konflikten, Mediationen und viel investierter Energie. Für mich war das vorrangig eine große emotionale Belastung, an der ich wachsen konnte.
Im selben Monat erwuchs auch in der Academy eine signifikante Entscheidung: Die Academy werde ich in ihrer damaligen Form vorerst einfrieren. Was hieß das konkret? Ich entließ die Mitarbeitenden und stoppte jeglichen Einsatz, Neukunden zu gewinnen. Bestandskunden liefen weiter, zufällige Laufkundschaft hätte ich nicht abgelehnt.
Das nahm mir natürlich Druck raus, gleichzeitig war das ein schmerzliches Loslassen einer Sache, die ich teilweise alleine und teilweise mit anderen tollen Menschen über viele Jahre aufgebaut hatte.
Auch im Juli war bei der Space noch kein neues Geschäft entstanden, allerdings war in der letzten Jahreshälfte das Budget unseres einzigen großen Kunden noch mal gewachsen. Vorstandszusage eines siebenstelligen Budgets für die Beauftragung 2025.
Gegen Ende 2024 wurde diese Zusage dann leider gekippt, das Budget um mehr als 50 % geschrumpft, und wir haben gemeinsam mit dem Kunden eine Roll-off-Strategie ausgearbeitet. Schrittweise wollten wir den Account verkleinern, bis dann Ende 2025 die Zusammenarbeit endet. Harte Entscheidung, aber mit Vorlauf kommuniziert.
Aufbrüche
Deshalb entwickelte ich mit der Space ein neues Geschäftsmodell: Digitalisierung für den kleinen Mittelstand. Hier gibt es riesigen Bedarf und ich brenne sehr für das Thema. Damit zog ich noch einmal los und investierte meine Energie in das Netzwerken und die Vermarktung unserer neuen Dienstleistungen.
Parallel dazu startete ich im Dezember 2024 unter dem Rahmen der stillgelegten Academy eine neue Marke: die Meeting Heroes. Aufbauend auf den Erfahrungen mit unserer LinkedIn-Kampagne war die Idee, ganz spitz auf ein konkretes Problem zugeschnitten eine Marke aufzubauen, die Führungskräften und Unternehmen dabei hilft, schlechte Meetings loszuwerden. Dafür holte ich eine Marketing-Agentur an Bord. Mit dieser haben wir die Markensprache sowie die Content-Strategie für LinkedIn ausgearbeitet und ich bin in die Umsetzung gegangen.
Im Februar 2025 begann dann der mehr oder weniger geplante Abbau der Space. Wir wussten, es wird eng. Gleichzeitig sind alle potenziellen Deals in unserer Pipeline nichts geworden. Somit musste ich im Februar drei weitere Mitarbeitende entlassen. Damit waren wir wieder knapp unter zehn Personen. Das war emotional unglaublich aufreibend. Für die Menschen, die gingen, für die Menschen, die blieben, und für mich.
Gleichzeitig gab es einen ersten Kunden für unser Digitalisierungsangebot, einige weitere Deals waren in der Pipeline. Es hätte alles klappen können.
Zweite Synthese: Fülle statt Notwendigkeit
In der Space und in der Academy habe ich ein klares Muster erkannt. Neben vielen anderen oft externen Faktoren, hat dieses Muster relevanten Anteil an dem Ausgang.
Ich habe stets in der Annahme gehandelt, dass personelles Wachstum die größte Herausforderung ist. Deutlich größer als die Herausforderung des Vertriebs.
In der Konsequenz habe ich mich darauf konzentriert, die Unternehmen personell wachsen zu lassen. Quasi in Antizipation größerer Auftragsvolumina – bevor der personelle Bedarf durch die Auftragslage gegeben war.
Letztlich habe ich durch forciertes präemptives Wachstum massiven Stress erzeugt. Der Vertrieb war plötzlich nicht nur notwendig, sondern überlebenswichtig, um die steigenden Personalkosten zu bedienen.
Daraus habe ich für mich ganz klar gelernt: Ich werde in Zukunft vorsichtiger präemptiv in antizipierte Engpässe investieren. Vielmehr sehe ich großen Wert darin, den Engpass zuzulassen und aus der wirtschaftlichen Fülle heraus dann eine Lösung zu erarbeiten, die passt.
Der Untergang
Im März kam dann die große Nachricht. Unser größter Kunde beendet die Zusammenarbeit. Sofort, mit vier Wochen Vorlauf. Das zwang mich dazu, rasante Entscheidungen zu treffen. Aufgrund der langen Periode ohne relevanten vertrieblichen Erfolg hatten wir unsere Cash-Rücklagen weitestgehend aufgebraucht. Von den monatlichen Einkünften waren wir somit direkt abhängig. Der einzige Weg, eine Insolvenz zu vermeiden, war die Entlassung der gesamten Belegschaft.
Dieser Prozess war extrem konfliktbehaftet und zog sich fast drei Monate hin. Nicht alle Mitarbeitenden wollten die Kündigung akzeptieren, einige trugen ihren Unmut sogar bis zum Arbeitsgericht.
In der Rückschau begann hier der emotional anspruchsvollste Abschnitt meiner Reise. Einerseits wusste ich, dass es unglaublich knapp werden würde, die Insolvenz zu vermeiden. Hier stand die wirtschaftliche Existenz meiner Familie auf dem Spiel. Gleichzeitig musste ich Menschen entlassen, die mir über die Jahre extrem ans Herz gewachsen waren. Entlassungen, in einer Zeit des sehr angespannten Jobmarktes in der IT.
Emotional spürte ich eine Kombination aus Angst, wegen der eigenen Existenz, Scham, weil ich Mitarbeitende und Freunde hängenlasse, und Trauer um das bis hierhin Aufgebaute.
Die belastenden Verhandlungen mit den Personen, die vor Gericht zogen, brachten mich im Grunde über meine Belastungsgrenze hinaus. Denn ich wusste auch: Wenn auch nur eine der drei Personen mit der Klage Erfolg haben sollte und weiter beschäftigt werden dürfte, wäre eine Insolvenz nicht mehr zu vermeiden. Das machte mir unglaublich große Angst.
Das weiterhin parallel wachsende neue Geschäftsmodell, die Digitalisierung, führte ich noch bis Juli mit zwei Mitarbeitenden, die Lust hatten, an Bord zu bleiben, weiter. Hier entstanden zwar insgesamt zwei Kunden, leider war das Wachstum aber nicht schnell genug, um weitere Gehälter zu zahlen. Daher trennten wir uns einvernehmlich und im Guten zum Ende des Julis 2025.
Ich bin voller Dankbarkeit, dass das Kapitel „Space“ letztlich glimpflich endete. Insolvenz vermieden, eine tilgbare private Restschuld, und ich konnte den meisten ehemaligen Mitarbeitenden durch mein Netzwerk dabei helfen, einen sinnvollen neuen Job zu finden.
Dritte Synthese: Menschen sind menschlich
Die Space war von Anfang an ein besonderes Unternehmen. Wir begegneten uns auf Augenhöhe, trafen Entscheidungen gemeinsam und pflegten einen sehr vertrauten Umgang.
Aus dieser Umgebung entstand ein extrem vertrauensvolles Arbeitsumfeld, welches von tiefem Vertrauen geprägt war. Wir konnten uns aufeinander verlassen und halfen einander durch die Unwägbarkeiten – nicht nur des Arbeitslebens. Umso erschrockener war ich von den insgesamt drei eingereichten Kündigungsschutzklagen in der heiklen Phase im April 2025.
Meine erste Reaktion war natürlich Wut und Trauer über den vermeintlichen Stich in den Rücken. Aber letztlich bin ich doch schnell bei einer anderen, sinnvolleren Betrachtungsweise angekommen:
Menschen verhalten sich menschlich. Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses stellt für die meisten Menschen eine existenzielle Bedrohung dar. Und im Kontext einer Extremsituation wie der bedrohten Existenz reagieren Menschen auch extrem. Aus dieser Sicht gänzlich nachvollziehbar, dass Einzelne versuchen, das Unvermeidliche durch eine Klage abzuwenden oder hinauszuzögern.
Letztlich führen extreme Situationen zu extremen Emotionen und die wiederum zu extremen, unvorhersehbaren Reaktionen. Und das darf ich in Zukunft antizipieren.
Vierte Synthese: Unternehmer:innen als Projektionsfläche
Für mich war initial mit am schwersten zu tragen, wie schnell die fast freundschaftliche Nähe der Mitarbeitenden in große Wut und Ablehnung umschlug. Das hat sich extrem persönlich angefühlt.
In der Rückschau habe ich aber auch verstanden: Unternehmer:innen sind die Projektionsfläche für die Emotionen der Belegschaft. Gerät das Unternehmen in Schieflage, kann Angst entstehen. Und Angst schlägt nun mal oft in Wut um, das ist zutiefst menschlich.
Die leitenden Instanzen eines Unternehmens sind dann natürlich die Projektionsfläche dieser Wut. Und ich verstehe es als meine Aufgabe, diese Wut und diese Emotionen auszuhalten.
Diese Erkenntnis hat mir, genau wie die vorherige Synthese, dabei geholfen, das Geschehene positiv zu betrachten. Auch wird es mir in der Zukunft helfen, die zwangsläufigen emotionalen Extreme in einer Belegschaft anders und weniger persönlich einzuordnen.
Der freie Fall
Mit dem Abbau der Space traf ich dann im Juli auch eine große Entscheidung: Ich ließ nahezu alle meine alten, beruflichen Verpflichtungen los. Konkret bedeutet das: Die space22 GmbH wurde mit der Holding verschmolzen, die Academy wurde nicht mehr weitergeführt und die Meeting Heroes legte ich vorerst vollständig auf Eis.
All das stieß ich noch im Juli an, damit ich wie schon das ganze Jahr geplant, den August als Urlaubsmonat mit meiner Familie verbringen konnte. Das war die richtige Entscheidung.
Mit dem Abstand von sechs Wochen Urlaub war es mir erstmalig möglich, das Geschehene zu verstehen und mit dem Verarbeiten zu beginnen. Eine Emotion bildete sich dabei ganz prägnant: Existenzangst.
Woher kam diese Angst? Ich konnte initial nur Folgendes sehen: Meine Einkommensströme sind versiegt, es ist keine sinnvolle berufliche Perspektive mehr da und ich bin durch den übrig gebliebenen Liquiditätskredit mit Privathaftung privat verschuldet.
Es kostete mich zwei Wochen Arbeit in meinem Journal, Gespräche mit meiner Partnerin und meinen Freunden sowie harte Fragen durch meinen Coach, um mich durch diese Angst zu arbeiten und bei einer realistischen Betrachtung meiner Ressourcen anzukommen.
Aus dieser Betrachtung hat sich eine wundervolle Perspektive für meine Familie und mich ergeben. Ein klarer Weg nach vorn, zu dem ich gleich komme.
Fünfte Synthese: Unternehmerisches Risiko darf vergütet sein
Bis heute habe ich in keinem einzigen meiner bisherigen Unternehmungen als Gesellschafter Gewinne in ernsthafter Höhe entnommen. Damals in unserem Event-Business haben wir alles in Wachstum reinvestiert, in der Academy genau dasselbe. In der Space haben wir die Gewinne als Liquiditätspuffer im Unternehmen gehalten (abzüglich einer einmaligen kleinen Ausschüttung für alle im Jahre 2023).
Gleichzeitig haben meine Partnerin und ich immer ein relativ geringes Haushaltseinkommen ausgezahlt, um die eigenen Unternehmen nicht zu sehr zu belasten. Zusätzlich entstand in der Space die Idee der „Gleichheit“: Alle, einschließlich des geschäftsführenden Gesellschafters, erhielten dieselbe Vergütung.
In der Rückschau war das ein kapitaler Fehler und ich bin wahnsinnig dankbar, diese Lektion so früh in meinem Leben wirklich verstanden zu haben. In der Space hat sich das unternehmerische Risiko erstmalig wirklich realisiert. Im vergangenen Jahr benötigten wir einen Liquiditätskredit, selbigen erhielten wir aber nur mit meiner privaten Bürgschaft. Und diesen Kredit darf ich nun, nach dem Ende dieses Unternehmens, weiter bedienen. Greifbarer kann für mich dieses unternehmerische Risiko gar nicht mehr werden.
Für die Zukunft bedeutet das für mich ganz klar Folgendes: Unternehmen können jederzeit enden, mit hohem Schuldenrisiko für die Inhaber. Daher werde ich ab jetzt jedes Jahr Gewinne an meine Familie und mich ausschütten. Ich werde sogar, ganz nach der Idee aus dem Buch Profit First, die feste Ausschüttung von Gewinnen in der Kalkulation von Anfang an mitdenken.
Die Ausschüttung sehe ich heute als genauso wichtig an wie Reinvestitionen des Gewinns im Unternehmen.
Denn die ausgeschütteten Gewinne bleiben auf meinem privaten Konto, auch, wenn das Unternehmen stirbt. Entweder als Vergütung für die dann geendete aufregende Reise oder als Schutz vor den potenziellen Haftungsthemen, die im Nachhinein entstehen können.
Der Neuanfang
Ein surreales Gefühl, die folgenden Zeilen zu schreiben. Ich befinde mich nun in einer Situation, in der ich so noch nie vorher in meinem Leben war. Die Familien-GmbH ist noch da und ich habe keine Mitarbeitenden mehr. Übrig bleiben drei Beratungs- und Coachingmandate, die ich in den vergangenen Monaten während der anstrengenden Reise durch das Ende der Space aufgebaut hatte.
Warum habe ich das damals getan? Vor allem, weil ich die Unternehmen und Personen unglaublich spannend fand und mir dachte: Hier kann ich als Coach oder als Berater großartige Impulse liefern und echte, positive Veränderung bewirken. Solche Mandate haben mir schon immer Spaß gemacht und diese hatte ich seit vielen Jahren immer neben meinen Unternehmen.
Diese Arbeit mit Menschen in der Rolle als Coach, Mentor oder Berater ist mir eine absolute Herzensangelegenheit.
Selbstfindung
Konkret sieht der Plan für mich inzwischen so aus: Die kommenden zwölf Monate werde ich einer einzigen Frage widmen: „Wie sieht für mich erfüllende Arbeit aus?“ Um mir maximale Freiheit zu schaffen, optimiere ich vorerst ausschließlich auf freie Zeit.
Das heißt, ich werde noch drei bis vier weitere Mandate annehmen, sodass ich mit den Coaching-Calls auf etwa einen Arbeitstag pro Woche komme. Das lässt mir sechs freie Tage in der Woche zum Denken, zum Lesen, zum Schreiben, für meine Familie, für Freunde und für ganz viel Inspiration.
Loslassen
Dieser Weg klingt wundervoll, es kostete mich aber einiges an mentaler Reflexionsarbeit, bei dieser Betrachtung herauszukommen. Denn: Aktuell decken die Einnahmen die Fixkosten sowie Gehälter der GmbH nicht vollständig ab. Durch die finanziellen Strapazen der vergangenen 14 Monate haben wir auch nur noch wenig Rücklagen in eben dieser GmbH. Ohne weitere Mandate reichen diese noch etwa fünf Monate.
In Anbetracht dieser harten Deadline liegt für mich der Weg in eine entspannte Arbeit und freie Selbstfindungszeit einzig im Loslassen der Existenzangst. Bisher bin ich in meinem Leben immer auf zwei Beinen gelandet. Mit meiner Entspannung und der damit verbundenen Ausstrahlung sehe ich plötzlich wieder Chancen überall, die mir vorher verborgen blieben.
Jede Woche kommen andere Unternehmer:innen auf mich, auf der Suche nach Inspiration, Impulsen oder konkreter Unterstützung. Ich weiß, dass ich auf dieser Grundlage in den kommenden Monaten ohne Stress wunderbare Mandate finden werde.
Sechste Synthese: Stress
In der Rückschau wird mir unglaublich klar, wie viel Stress die konkreten Geschäftsmodelle der Space und der Academy verursacht haben.
Die Space hat klassisch nach Time & Material abgerechnet. Heißt: Die angestellten Berater arbeiten mit Stundenzettel beim Kunden. Am Ende des Monats werden die Stunden summiert und mit dem vereinbarten Stundensatz in Rechnung gestellt, typischerweise mit einem Zahlungsziel von 30 Tagen. Dieses Modell führt zwangsläufig zu einem stressigen Unternehmen.
Für die Belegschaft bedeutet das: permanenter Fokus auf die gearbeiteten Stunden. In einer Welt, in der wir uns eigentlich auf „Outcome over Output“ und echte Effizienz konzentrieren wollen, kreieren wir damit ein Modell, welches ineffiziente Arbeit incentiviert (mehr Stunden für die gleiche Sache = mehr Geld vom Kunden).
Für die Belegschaft bedeutet das auch: Ist ein Mensch krank oder im Urlaub, verursacht dieser keinen Umsatz. Das wiederum erzeugt Druck, Fehlzeiten zu minimieren.
Für mich als Unternehmer bedeutet Time & Material: Das Geld kommt ein bis zwei Monate nach dem bilanzierten Umsatz. Das verursacht extreme Schwankungen in der Liquidität des Unternehmens, was wiederum mit erhöhter Komplexität im Controlling einhergeht.
Die Academy wiederum hat zwar nicht nach Stunden abgerechnet, allerdings hat sie ausschließlich einzelne Trainings verkauft. Das bedeutet in der Übersetzung: Jeder vertriebliche Erfolg manifestiert sich in einem einmaligen Umsatz, dann geht die Arbeit wieder von vorn los. Das verursacht für mich, als Unternehmer, permanenten vertrieblichen Stress.
In Summe habe ich die Erkenntnis, dass ein relevanter Teil des Stresses, den ich in den vergangenen Jahren erleben durfte, durch die spezifischen Geschäftsmodelle meiner Unternehmen verursacht war.
Was mache ich daraus? Die Mandate, die ich nun habe, folgen einem klaren, komplett anderen, Geschäftsmodell: Ich arbeite als Coach oder Berater nur gegen monatliche, am Wert des Outcomes orientierte, Retainer in Vorkasse und mit einem Zahlungsziel von 14 Tagen.
Das heißt, meine bilanzierten Umsätze kommen im selben Monat auf dem Konto an. Das Controlling dafür ist fast schon trivial. Ich kann mit einem kontinuierlichen monatlichen Umsatz planen, das Forecasting wird damit ebenfalls grenztrivial. Und jede vertriebliche Arbeit manifestiert sich in langfristigem und kontinuierlichem statt in einmaligem Umsatz.
Das ist ein Modell, welches Ruhe und Entspannung erzeugt, statt Stress und Hustle-Kultur zu befeuern. Ich bin so unglaublich dankbar für dieses große Lerngeschenk.
Siebte Synthese: Wachstum neu denken
Bisher hatte ich eine relativ klare Perspektive auf Wachstum: Ich erhöhe den Umsatz durch Vertrieb und stelle mehr Menschen für das Umsetzen der verkauften Dienstleistungen ein. Vergleiche ich nun die Ökonomie des alten Space-Modells mit meiner aktuellen Situation, stellt sich eine bemerkenswerte Perspektive dar: Mit sechs Mandanten erwirtschafte ich als Einzelperson einen höheren Unternehmensgewinn, als die Space mit über zehn Mitarbeitenden und 1,5 MEUR Jahresumsatz. Bei einem Arbeitsvolumen von ca. einem halben Tag pro Woche.
Rechnerisch betrachtet ist es vollkommen klar, dass ich einen ganz anderen Gewinn erzeugen kann, wenn ich nur meine eigenen Personalkosten und Fixkosten betrachten muss. Und trotzdem schockierend, das in tatsächlichen Zahlen jetzt ganz real zu fühlen.
Ich nehme diese Erkenntnis als Anstoß, die Frage des Wachstums noch einmal ganz neu zu denken. Wie kann ich den Umsatz wachsen lassen, nicht durch mehr Stunden und mehr Menschen, sondern durch größere Hebel und neue Synergien im bestehenden System? Ich nutze meine Erfahrung im Aufbau diverser Unternehmen und Marken nun, um das freiberufliche Beraten noch mal ganz neu zu denken.
Wo geht die Reise hin?
Mein gesamtes unternehmerisches Leben habe ich die unterschiedlichsten Unternehmen aufgebaut und diverse Ideen verfolgt. Immer mehr als eine Sache zeitgleich. Ich kann mich für sehr viele unterschiedliche Themen begeistern: Soft- und Hardwareentwicklung, IT-Security. Unternehmensentwicklung, Marketing, Persönlichkeitsentwicklung, Steuer- und Gesellschaftsrecht, Controlling … Die Liste ist wirklich lang. In all diesen Bereichen durfte ich eine Menge Expertise aufbauen.
Bis heute ist mir gänzlich unklar, welcher rote Faden durch all diese Themen läuft. Was begeistert mich eigentlich wirklich, nachhaltig und langfristig? Denn alle meine Unternehmungen hatten auch gemein, dass mir rasch langweilig wurde, sobald ein Plateau erreicht war und es rund lief.
Gleichzeitig bin ich mir auch sicher, dass ich aufgrund des fehlenden Fokus der vergangenen zehn Jahre zwar wahnsinnig viel lernen durfte, gleichzeitig aber auch unglaubliches Entwicklungspotenzial auf der Strecke blieb.
Aus diesen Erkenntnissen leite ich ebenfalls einige sehr klare Erkenntnisse ab.
Achte Synthese: Sinn mit Fokus
Vorerst werde ich mich auf die Maximierung meiner Freiräume konzentrieren. Durch Ausübung einer Arbeit, die mir extrem große Freude bringt: die coachende Begleitung von Unternehmer:innen und Führungskräften.
Den Freiraum werde ich nicht dafür nutzen, das nächste Unternehmen hochzuziehen. Stattdessen werde ich mich der Frage widmen, wo mein langfristiger Sinn liegt. Welche Veränderung möchte ich in der Welt bewirken? Welche Lebensrealität möchte ich für meine Familie kreieren?
Es wird der Tag kommen, an dem ich die klare Antwort auf diese Frage vor mir habe. Sie wird sich richtig anfühlen, wird mir Energie schenken und sie wird mit Leichtigkeit umzusetzen sein.
Und aus dieser Klarheit werde ich dann in meine nächste Gründung gehen. Mit Fokus auf das klare Ziel, mit Fokus auf meine Werte und mit großer Lust und Leidenschaft. Eine Gründung, nicht aus der Notwendigkeit oder aus der Opportunität heraus, sondern aus der Fülle und der Lust am Schaffen.
Die Danksagung
In meinem Leben war ich stets von Menschen umgeben, die mich gestützt und mir auf meinen Wegen geholfen haben. Hinter mir stehen eine liebevolle Familie, wundervolle Freunde, ehrliche Coaches und Berater, authentische Geschäftspartner und ganz viele unterschiedliche Menschen, die an mich glauben.
Ohne all diese Menschen hätte ich meine Reise nicht bestreiten können. Ich bin voller Dankbarkeit und Liebe, für diese Begleitung.
Dankeschön.
Stay Mindful
Jakob 🙏
